# stattgeschichten by stattkatze
Herzlichen Glückwunsch, Antville, und danke für all den Text.
Ich kam ein Jahr später dazu, es muss im Sommer 2002 gewesen sein, ich war gerade nach Berlin gezogen, der Liebe wegen. Antville und die stattgeschichten sind mein frühes Berlin.
Die Stadt war fremd und groß und ich ging darin vollkommen verloren und man braucht Orte aus Text, an denen man zu Hause ist, wenn man sich verliert.
Ich hatte erst im Januar mein erstes Weblog zugemacht, weil ich ja nach Berlin gezogen war, der Liebe wegen. Ich dachte, jetzt brauche ich keine Weblog mehr. Die Liebe braucht kein Weblog. Ach, Kätzchen.
Noch viele, viele Jahre lang würde ich Weblogs auf- und zumachen. Manchmal für ein paar Tage, manchmal nur für eine Nacht, manchmal für ein Jahr. Irgendwas war immer. Liebe. Krankheit. Leben.
Das erste Weblog 2000 hatte ich aufgemacht, um HTML und Technik zu üben. Du brauchst ein Weblog, hatte der Hiwi gesagt. Also bekam ich ein Weblog. Mit eigenen spitzen Klammern und später mit Phase 5, einem wunderbaren HTML-Editor und einem FTP-Uploader, dessen Namen ich vergessen habe. Er hatte ein gelbes Logo. Und ich hatte ein Weblog mit wahnsinnig coolem Drei-Spalten-Satz und gelbem Rand.
Drei Tage später hatte ich ein Weblog mit Gedichten und blauen Schatten und Märchen und Geschichten übers Essen. Mein Vater würde bald sterben. Und ich fing an zu schreiben gegen den Tod und für die Liebe und das Leben. Ich glaube, ich habe seitdem nie wirklich etwas anderes getan mit all meinen Texten.
Vor ein paar Tagen war sein 20. Todestag. Es ist das Jahr der Zahlen.
Living by numbers.
Und Antville hat 20. Geburtstag und 20 Jahre Weblog sind 20 Jahre große Liebe, für die Blogs als solche und einen Menschen im Besonderen, denn wir haben uns Menschen ins Leben geschrieben mit unseren Geschichten und manche sind geblieben, bis heute.
Die Weblogs sind verschwunden. Mehr oder weniger. Auch die eigenen.
Manchmal macht man wieder eins auf, oder schreibt ein paar Zeilen, weil man denkt, jetzt passt es wieder; wenn man krank wird, oder die Welt, aber es trägt nicht mehr. Die Kraft reicht nicht mehr für etwas Ganzes.
Twitter hat es einfacher gemacht, Facebook hat es kaputtgemacht. Weiße Textfelder. Feed me.
Social killed the best of us.
Man schleppt nur noch Entwürfe von und mit sich herum. Immer sein eigener Entwurf. Nie ganz fertig.
Früher habe ich geschrieben ohne zu denken, Texte ausgespuckt und online korrigiert. Wenn überhaupt.
Ich hatte nie eine Kommentarfunktion, außer bis auf eine Nacht, glaube ich.
Alles passierte immer nur zwischen den Zeilen. Links, Querverweise, Logfiles. Man wusste, die anderen sind da. Man war nie allein. Nicht als Text.
Einmal hatte ich zu gründlich geschlossen und gelöscht. Einer hatte sich alles ausgedruckt und aufgehoben. Einmal habe ich Antville fast gelöscht. Das tut mit noch immer sehr leid.
Ab und an sehne ich mich auch jetzt noch zurück, nach früher, weil da etwas war, was es so (für mich) nie wieder gegeben hat. Eine Selbstverständlichkeit, eine Leichtigkeit. Finger auf die Tastatur und Geschichten erzählen. Ich war ein Kaminfeuer, an dem ich mich selber wärmte und andere auch.
Wenn man schreiben konnte, und lesen, dann war alles gut.
Wir waren Stimmen in der Nacht.
Den Tagschreibern und Büroblogs habe ich vermutlich nie wirklich vertraut. Sonntags schrieben nur die Einsamen.
Ob es uns gegeben hätte ohne Alkohol und Zigaretten?
Die Blogroll von Ronsens war meine Startseite, jeden Tag. Die Startseite von Antville war meine Blogroll. Irgendwie so. Wen sonst sollte man auch lesen außer anderen Blogs?
Man las immer jemanden . Die Blogs waren persönlich. Alles war persönlich.
Manche dachten, wir auf Antville hielten uns für etwas Besonders, etwas Besseres. Irgendwo gibt es einen Thread dazu. Ich glaube das bis heute nicht. Aber cool war es.
(Ohne mehrfach cool gehen diese Geburtstagsgrüße nicht.)
Später wurde alles anders, vielleicht nach der Blogmich 2005, weil wir zu stofflich waren, plötzlich, und aus Texten Menschen wurden, die sich trafen und zusammen Dinge unternahmen und man selber so nicht war, immer lieber nur am Rande einer Gruppe, immer nur im Halblicht. Ich weiß es nicht. Manchmal glaube, ich, wir hätten uns niemals treffen dürfen. Wir hätten Stimmen bleiben sollen.
Vielleicht wären wir dann noch da.
Andererseits.
Die frühen Lesungen waren wunderbar. Und ein paar Jahre lang konnte man einfach jemandem schreiben und fragen: Kaffee im Blauen Band? Und es war nicht merkwürdig, seltsam, komisch oder schräg. Oder die vielen gemeinsamen Essensrunden. Kochen für Worte.
Und ab hier blitzen Bilder auf, und Gesichter und Namen und Namen von Blogs, von denen ich dachte, ich hätte sie vergessen.
Bloggen als kleinster gemeinsamer Nenner. Eine Zeitlang war das möglich.
Ich habe eben nachsehen müssen in den stattgeschichten, wann ich sie aufgemacht habe. Wie großartig, dass antville noch immer den müden Herzschlag zählt.
6946 Tage. 19 Jahre und 3 Tage.
Es war der 17. Juni. Ich erinnere mich wieder. Es war eine dunkle, warme Nacht in Berlin Mitte, in der mir das Antville das Leben gerettet hat.
Auch wenn das sehr pathetisch klingt.
Aber ein bisschen Melodram muss sein. Nur Technik reichte nicht. Wir hatten schnell gelernt, zwischen die Herztexte, um die es einem ging, ein paar coole Links zu coolen Seiten zusetzen. Überschreiben der anderen Art.
Irgendwann war man nur noch Text.
Und heute? Twitterschlachten. Welten zwischen den politischen Haltungen. Man würde sich heute vielleicht nicht mehr mit seiner Timeline an einen Tisch setzen können. Außer nostalgisch-ironisch. Ob das reicht?
Damals reichte es. Weil es kein Thema war. Jeder war sich sein eigenes Thema. Jedes Blog eine kleine Welt.
Lies mich, oder lies mich nicht. Keiner schrie, glaube ich. Es wurde nie laut.
Vielleicht ist es das, was fehlt, um nochmal anzufangen. Die Stille zwischen den Texten.
Danke dafür. Danke für alles. Ihr wisst, wer ihr seid.
Mein Antville-Blog habe ich irgendwann verschenkt. Es ist in guten Händen.